Kartierung der bekannten Bodendenkmäler in Niedernberg und Umgebung. Geobasisinformation: Bayerische Vermessungsverwaltung. Bearbeitung: LAG Main4Eck.
Dieser Auxiliarsoldat hält am einstigen Nordtor Wache. Der Mauerverlauf ist im Gehwegpflaster markiert. Foto: LAG Main4Eck
Lokalisierung der Außenmauern, des Stabsgebäudes und der Thermen im Ortszentrum Niedernbergs. Quelle: Conrady 1896. Bearbeitung: LAG Main4Eck.
Kartierung des Obergermanisch-Raetischen Limes. Karte: ziegelbrenner, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0. Bearbeitung: LAG Main4Eck.
Eine Kopie des Niedernberger Soldatengrabsteins steht nahe des Fundorts im Stadtweg. Foto: LAG Main4Eck.
Rekonstruktionszeichnung des Reiterkastells Biriciana bei Weißenburg i.B. um 150 n.Chr. Das Lager in Niedernberg war um knapp ein Drittel kleiner.
Eine Kopie der ca. 25 cm großen Brunnenmaske wurde nahe des Fundortes in Hauptstraße knapp 100 m nördlich des Rathauses bzw. des einstigen Nordtors. Foto: LAG Main4Eck.
Das Haupttor des Kastells Pfünz um 150 n.Chr. ist dem in Niedernberg vergleichbar. Rekonstruktionszeichnung: Mediatus, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0
Kartierung der bekannten Bodendenkmäler in Niedernberg und Umgebung. Geobasisinformation: Bayerische Vermessungsverwaltung. Bearbeitung: LAG Main4Eck.
Dieser Auxiliarsoldat hält am einstigen Nordtor Wache. Der Mauerverlauf ist im Gehwegpflaster markiert. Foto: LAG Main4Eck
Lokalisierung der Außenmauern, des Stabsgebäudes und der Thermen im Ortszentrum Niedernbergs. Quelle: Conrady 1896. Bearbeitung: LAG Main4Eck.
Kartierung des Obergermanisch-Raetischen Limes. Karte: ziegelbrenner, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0. Bearbeitung: LAG Main4Eck.
Eine Kopie des Niedernberger Soldatengrabsteins steht nahe des Fundorts im Stadtweg. Foto: LAG Main4Eck.
Rekonstruktionszeichnung des Reiterkastells Biriciana bei Weißenburg i.B. um 150 n.Chr. Das Lager in Niedernberg war um knapp ein Drittel kleiner.
Eine Kopie der ca. 25 cm großen Brunnenmaske wurde nahe des Fundortes in Hauptstraße knapp 100 m nördlich des Rathauses bzw. des einstigen Nordtors. Foto: LAG Main4Eck.
Das Haupttor des Kastells Pfünz um 150 n.Chr. ist dem in Niedernberg vergleichbar. Rekonstruktionszeichnung: Mediatus, Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0

Kastell Niedernberg

1 Min. zur Haltestelle

Im Boden unter dem Ortskern Niedernbergs schlummern die Reste eines römischen Militärlagers. Hier war rund 150 Jahre lang die 1. Ligurer- und Hispanierkohorte stationiert. Die bis zu 600 Soldaten, darunter auch Reiter, sicherten den sogenannten 'Nassen Limes'. Im direkten Umfeld des Kastells befanden sich ein Badegebäude, eine Zivilsiedlung und Gräberfelder.

Zum Dorfrundweg Niedernberg auf fabuly

Die Römer in Niedernberg

Allem Anschein nach ist das Niedernberger Kastell um 110 n.Chr. im Zuge des systematischen Grenzsicherungsprogramms Kaiser Traians gegründet worden und existierte bis zur Aufgabe des Obergermanisch-Raetischen Limes um 270 n.Chr. Anfangs bestand es aus Holz-Fachwerk-Gebäuden und einer Holz-Erde-Mauer. Diese dürften in den 140er Jahren durch Steinkonstruktionen ersetzt worden sein. Kaiser Antoninus Pius ließ zu dieser Zeit alle Kastelle und Wachttürme am Obergermanisch-Raetischen Limes in Stein ausbauen.

Lage

Die Wehranlage liegt nur 70 Meter vom (heutigen) Mainufer entfernt auf einer etwa fünf Meter hohen Geländeterrasse. Ihre 135 m breite Hauptfront ist nach Osten zum Main hin ausgerichtet. Die Grundfläche ist annähernd quadratisch, typischerweise mit abgerundeten Ecken, und beträgt ca. 2,2 Hektar. Der Grundriss ist leicht trapezoid, da die rückwärtige Front rund 10 m breiter ist und die Seitenstrecken ca. 153 m lang. Auf allen vier Seiten befanden sich Tore, wobei das zum Main orientierte Haupttor als Doppeltor konstruiert war. Von den vier möglichen Ecktürmen ist nur einer im Nordwesten nachgewiesen. Hinweise auf Zwischentürme fehlen bislang.

Besatzung

Wahrscheinlich während der gesamten Zeit seiner Existenz war im Niedernberger Lager die 1. Kohorte der Ligurer und Hispanier (Cohors I Ligurum et Hispanorum) stationiert. Die Truppe ist durch Ziegelstempel, einen Grabstein und mehrere bronzene 'Militärdiplome' belegt. Letztere erhielten Auxiliarsoldaten zu ihrer ehrenhaften Entlassung nach rund 25 Dienstjahren und beinhalteten in der Regel die Verleihung des römischen Bürgerrechts. Die Sollstärke der Kohorte lag bei 600 Mann, darunter auch 120 Reiter. Die Fläche des Lagers ist hingegen auf eine komplett unberittene Kohorte ausgelegt. Kohorten mit Kavallerieabteilung waren üblicherweise in ca. 3 ha großen Lagern stationiert.

Innenbebauung

Von der Innenbebauung ist nur der hintere (östliche) Teil des zentralen Stabsgebäudes (principia) mit der Apsis des Fahnenheiligtums erfasst. Die Achsen der von den vier Toren ausgehenden Lagerstraßen haben sich im heutigen Verlauf der Hauptstraße, Schulstraße und Kirchgasse erhalten. Die westliche Kastellmauer ist mit der spätmittelalterlichen Ortsbefestigung größtenteils deckungsgleich, sodass die Hintermauerstraße auch die Westausdehnung der römischen Befestigung markiert.

Umfeld

Eine insgesamt etwa 15 m breite Doppelgrabenanlage umschloss das Kastell. Die beiden im Profil V-förmigen Gräben waren jeweils gut 2 m tief und 4-5 m breit. Außerhalb davon entwickelte sich eine Zivilsiedlung, die das Lager im Süden, Westen und Norden einfasste. Im Norden schloss sich ein Gräberfeld an. Das Kastell verfügte mainseitig vor der Südostecke über Thermen. Auf etwa 42 Metern Länge waren fünf Baderäume in einer Reihe hintereinander angeordnet.

In der Niedernberger Gemarkung sind in nächster Nähe zueinander vier weitere Kastelle nördlich des Gewerbegebiets bekannt. Dabei handelt es sich wahrscheinlich jedoch nicht um tatsächlich genutzte Stützpunkte, sondern um Übungslager. Die Cohors I Ligurum et Hispanorum trainierte hier anscheinend Schanzarbeiten für Feldbefestigungen und Marschlager.

Erforschung und Funde

Auf die Existenz eines römischen Kastells in Niedernberg wiesen bereits im 19. Jahrhundert unter anderem Münzfunde hin. Den Beweis lieferte Wilhelm Conrady 1883/84, als er bei gezielten Ausgrabungen südlich der Pfarrkirche auf das Badegebäude stieß. Position, Größe und Orientierung des Lagers selbst konnte er ab 1894 durch Suchschnitte zwischen der bestehenden Bebauung efassen. Wenige Jahre später, 1909, wurden zwei Altäre im Fuldaer Dommuseum, die im 18. Jahrhundert dorthin gelangt waren, wieder ihrem Fundort - Niedernberg - zugewiesen.

Weitere Funde kamen erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge von Kanalbauarbeiten zutage. Hervorzuheben sind der Grabstein des Soldaten Marcellus Bolgedonis aus dem nördlichen Gräberfeld und aus dem Areal der Zivilsiedlung eine bronzene Brunnenmaske in Form des Silen. In der antiken Mythologie ist er der Lehrer des Weingottes Dionysos/Bacchus und vereinigt Weisheit wie auch Trunkenheit in sich. Nördlich der Alpen ist kein weiterer Wasserspeier mit Silenmaske bekannt.

Die archäologische Begleitung von Kanalbauarbeiten 1998/99, 2001/02 und 2009 erschloss Details zur Konstruktionsweise der Befestigung und ermöglichte Grundrisskorrekturen. 

Der Obergermanisch-Raetische Limes

Mit dem Vorrücken römischer Legionen an den Rhein unter Kaiser Augustus im Jahr 12 vor der Zeitenwende wurde der - heute bayerische - Untermain Grenzgebiet zwischen Imperium Romanum und Barbaricum - und blieb es für die nächsten drei Jahrhunderte. Im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung war das rechtsrheinische Gebiet noch umstritten und keine Grenzziehung möglich. Die verbissenen und nur phasenweise ruhenden römischen Expansionsbestrebungen trafen auf den hartnäckigen Widerstand germanischer Stämme. Gegen Ende des Jahrhunderts stabilisierte sich die Situation, sodass es um 90 n.Chr. zur Gründung der römischen Provinz Obergermanien (Germania superior) kam. Spätestens unter Kaiser Traian (98-117) hatte sich ein konkreter Grenzverlauf herauskristallisiert, der seit 110/120 n.Chr. klar markiert und lückenlos überwacht wurde: der Obergermanisch-Raetische Limes.

Was die Römer als 'limes' bezeichneten, konnte höchst unterschiedlich aussehen. Von einer schlichten Rodungsschneise bis hin zu einem überwachten Grenzfluss oder einer massiven Befestigungsmauer. Ursprünglich war mit 'limes' gar keine Grenzanlage gemeint, sondern eine geräumte Schneisen in unwegsamem Gelände. Das Militär legte solche 'limites' bei Feldzügen in feindlichem Gebiet zur Beschleunigung von Kommunikation, Nachschubversorgung und Truppenbewegungen an. Doch im Laufe der Kaiserzeit, also im 1. bis 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, entwickelte sich das Wort zum Inbegriff der römischen Grenzsicherung schlechthin.

Der 'Nasse Limes', also die Flussabschnitte, konnten von der Flotte überwacht und mit wenigen Kastellen gesichert werden. So auch zwischen Seligenstadt und Wörth, später bis Miltenberg (5 bzw. 8 Kastelle). Landstrecken mussten hingegen mit enggliedrigeren Postenketten versehen werden. Die den Odenwald überquerende Strecke wurde bereits in den Jahren um 110 n.Chr. mit Wachttürmen versehen. Der Verlauf ihres ca. 30 Kilometer langen Nordteils orientiert sich an der Landschaftstopographie. Von Wörth am Main aus zieht sie auf die Höhen des Odenwalds und folgt in einem weiten Bogen dem Bergrücken Richtung Süden entlang der Wasserscheide zwischen Mud und Mümling bis nach Schloßau bei Mudau. Dort knickt sie nach Süden ab und verläuft, da die Topographie hier wesentlich seichter ist, gut 50 Kilometer geradlinig bis Bad Wimpfen am Neckar. Bereits 40-50 Jahre später wurde der Odenwaldlimes von der Vorderen Odenwaldlinie abgelöst. Diese verläuft ab Miltenberg einige Kilometer weiter östlich und hatte für gut 100 Jahre Bestand, bis sie um 280 n.Chr. aufgegeben wurde.

Aufbau des Limes

Als der ORL 110/120 angelegt wurde, errichteten die Römer noch keine durchgängigen Grenzbauwerke. Die Landstrecken bestanden anfangs nur aus den namengebenden Rodungsschneisen mit Patroullienwegen sowie unterschiedlich dichten Postenketten aus Kohortenkastellen, Kleinkastellen und Wachttürmen - allesamt in Holzbauweise (Stufe 1). Auf den rund 80 Streckenkilometern der Odenwaldlinie reihten sich 4 Kohorten- und 11 Kleinkastelle sowie etwa 85 hölzernen Wachttürmen aneinander. Zwischen den Posten bestand Sichtverbindung, die Distanz zwischen ihnen variiert aber je nach Gelände. Im Durchschnitt stand alle 800 Meter ein Wachtturm bzw. Kastell. Damit war eine lückenlose Überwachung der Grenze und schnelle Signalübermittlung möglich - die Kernaufgabe der Grenzanlage. Alle Türme waren mit Gräben umgeben, einige zusätzlich mit Zäunen. Die Kastelle waren durch Holz-Erde-Mauern und vorgelagerte Gräben geschützt.

Am Obergermanisch-Raetischen Limes folgten drei weitere Ausbaustufen innerhalb eines Jahrhunderts. Bereits einige Jahre nach dem Bau der Postenkette wurde diese durch eine Palisade als durchgängiges Hindernis ergänzt (Stufe 2). Im Odenwald wie auch in der Wetterau geschah dies um 120 n.Chr. Weitere 25 Jahre später, um 145/146 n.Chr., ersetzte man die Holztürme und Kastelle im Odenwald durch Steinbauten (Stufe 3). Entlang des Odenwaldlimes waren diese allerdings nur kurz in Nutzung, denn um 150/160 kam es zur Verschiebung der Grenze um einige Kilometer nach Osten, zur Vorderen Odenwaldlinie. Lediglich einzelne Kastelle und Wachttürme blieben noch bis zu 30 Jahre darüber hinaus besetzt. In den Jahren um 200 n.Chr. wurde die hölzerne Palisade durch einen Erdwall mit vorgelagertem Graben ersetzt (Stufe 4). Die Arbeiten kamen am Odenwaldlimes folglich nicht mehr zur Ausführung, sondern am Vorderen Limes.

Bis zu 6000 Grenzsoldaten

Die Besatzungen der Kastelle und Türme bestanden aus Hilfstruppen, die aus ihren rückwärtigen Stützpunkten am Rhein und in Gallien um 110 n.Chr. an den Limes vorverlegt worden waren. Sie waren keine Legionäre (= römische Bürger), sondern wurden in den Provinzen rekrutiert. Die Legionen blieben hingegen in ihren bestehenden Lagern in Mainz und Straßburg. Als Elitetruppen waren sie für größere Feldzüge vorgesehen, sicherten die Versorgung von Nachschub und Baumaterial und errichteten als Pionierverbände das Infrastrukturgerüst der Provinz, also Straßen, Brücken, Ziegeleien, Mühlen, Bäckereien, Poststationen, Badeanlagen, Tempel und mehr. In den Grenzkastellen war jeweils eine Kohorte stationiert - Sollstärke ca. 600 Mann, bei manchen Verbänden waren darunter auch ca. 120 Reiter.

Die vier Kastelle des Mainlimes (Seligenstadt, Stockstadt, Niedernberg und Obernburg) und Wörth; später kamen Trennfurt, Miltenberg-West und Miltenberg-Ost hinzu) und die drei weiteren Kastelle des Odenwaldlimes (Oberscheidental, Neckarburken und Wimpfen - alle in Baden-Württemberg) bzw. ihre Pendants an der Vorderen Odenwaldlinie (Miltenberg-West, Osterburken und Jagsthausen) kommen somit auf eine Sollstärke von gut 4000 Mann. Dazu kamen die Wachmannschaften der Kleinkastelle und Wachttürme. Sie setzten sich zumeist aus niederrangigen, aber eigenständig operierenden Truppen zusammen, den Numeri. Im Odenwald waren wahrscheinlich neun Numeri stationiert, von denen sich einige 'Brittonen' nannten, ursprünglich also in Britannien rekrutiert worden waren. Ein Numerus bestand aus 150 bis 200 Mann. Theoretisch verfügte der Main- und Odenwaldlimes also über bis zu 6000  Soldaten. Zusammen mit ihren Familien machten die einen erheblichen Teil der grenznahen Bevölkerung aus. Der tatsächliche Personalstand vieler Einheiten lag allerdings deutlich unter der Sollstärke.

Vordere Odenwaldlinie

Um 150/160 wurde die Grenze um einige Kilometer nach Osten vorgeschoben, zum sogenannten 'Vorderen Limes'. Dieser führte von Miltenberg größtenteils schnurgerade nach Südosten zur schwäbischen Alb, wo er an den zur Donau bei Regensburg ziehenden Alblimes anschloss. Auch er bestand aus einer Kette steinerner Kastelle und Wachttürme sowie Holzpalisade. Letztere wurde nach knapp 50 Jahren durch einen Erdwall mit Graben ersetzt. Die Verlegung der Truppen geschah nicht über Nacht, sondern nahm mehrere Jahre in Anspruch. Während die allermeisten Einheiten zwischen 155 und 160 ihre neuen Stützpunkte am Vorderen Limes errichteten und dort einrückten, blieben wenige Numeri noch bis in die 180-er Jahre am alten Standort, vermutlich zur Nachschubsicherung und zwecks Rückbauarbeiten. Die Stärke der Grenztruppen blieb insgesamt unverändert, verminderte sich im 3. Jahrhundert zunehmend. Angesichts des hohen Aufwands ist nicht klar, welchem konkreten Zweck diese minimale Vorverlegung und Begradigung der Grenze diente.

Der 'Limesfall'

Aufgrund stark zunehmenden germanischen Drucks und einer gleichzeitigen inneren Destabilisierung durch politische Krisen und Bürgerkriege musste Rom den Obergermanisch-Raetischen Limes schließlich aufgeben. Massive Einfälle und Plünderungszüge von Alamannen, Franken und Juthungen in den Jahren 259/260 und dadurch ausgelöste jahrelange Wirren in den Nordprovinzen markieren den Kipppunkt der Grenzpolitik in Germanien. Erst als Rom die Kontrolle in den 270-er Jahren halbwegs wiedererlangt hatte, konnten die wenigen am Limes verbliebenen Truppen hinter Rhein und Donau zurückgezogen werden. Damit stand das rechstrheinische Gebiet einer germanischen Besiedelung endgültig offen. Viele Grenzkastelle waren zu dieser Zeit bereits längst zerstört und/oder verlassen, sei es in Folge germanischer Angriffe, ihrer Beteiligung am Bürgerkrieg, ausbleibender Anwerbungen oder Fahnenflucht.

Provinz Germanien

Im Jahr 55 v.Chr. waren im Zuge der Gallischen Kriege römische Truppen unter Gaius Julius Caesar erstmals zum Rhein und Main vorgestoßen. Nach der endgültigen Unterwerfung der gallischen Stämme 50 v.Chr. wurden die Gebiete bis zum Rhein romanisiert und von Kaiser Augustus schließlich als Provinzen in das Römische Reich eingegliedert. Die Regionen entlang des Rheins, die späteren Provinzen Nieder- und Obergemanien, blieben hingegen Militärbezirke unter Armeeverwaltung und fungierten als Pufferzonen gegen die germanischen Stämme östlich des Rheins.

1. Hälfte 1. Jh.: Julische Kaiser

Seit 12 v.Chr. waren am Rhein starke Heeresverbände stationiert, vor allem in den Legionslagern Windisch (CH), Straßburg (F), Mainz, Köln, Neuss, Xanten und Nijmegen (NL). Im Zuge der sogenannten Augusteischen Germanenkriege unternahmen regelmäßig Feldzüge ins rechtsrheinische Germanien, die nicht mehr nur die Sicherung Galliens zum Ziel hatten, sondern die Unterwerfung der dortigen Stämme. Germanien sollte römische Provinz werden und die Grenze des Imperiums bis zur Elbe vorgeschoben werden. Bekanntermaßen scheiterte dieser Plan. In der Varusschlacht 9 n.Chr. verlor Rom drei komplette Legionen samt Hilfstruppen und Tross. Die gewaltigen Rückeroberungs- und Vergeltungsfeldzügen unter Germanicus ab 14 n.Chr. blieben letztlich erfolglos. Kaiser Tiberius beorderte die Truppen im Jahr 16 n.Chr. an den Rhein zurück und ließ so gut wie alle rechtsrheinischen Stützpunkte räumen. Damit wurden die Bestrebungen zur Herrschaftsübernahme in Germanien aufgegeben.

In den folgenden Jahrzehnten wurde die Rhein-Donau-Linie systematisch mit weiteren Kastellen ausgebaut. Jenseits der Grenzflüsse kam es jedoch nur in zwei Regionen zur Errichtung von Kastellen: in der Wetterau wegen deren Fruchtbarkeit sowie zwischen Freiburg/Breisgau und den Donauquellen wegen der verkehrstechnischen Bedeutung. In einigen Bereichen der Grenze und deren Vorfeld wurden verbündete germanische Volksgruppen quasi als paramilitärische Milizen angesiedelt. Im Inneren kam es zur wirtschaftlichen und administrativen Strukturierung des späteren Provinzgebiets.

Die Römer sicherten die Grenze, indem sie eine zig Kilometer breite 'Sicherheitszone' kontrollierten. Folglich waren römische Truppen auch jenseits des unter römischer Herrschaft stehenden Gebiets, etwa dem bayerischen Untermain, ein vertrautes Bild. Im Rahmen von Militäroperationen wurden in der Regel zwar noch keine dauerhaften Stützpunkte errichtet, dennoch kam es zu vielfältigen und regelmäßigen friedlichen Kontakten, allen voran Handel. Diese hatten bereits erheblichen romanisierenden Einfluss auf die hiesigen germanischen Gemeinschaften.

2. Hälfte 1. Jh.: Flavische Kaiser

Die ab 69 n.Chr. regierenden Flavier griffen wieder stärker auf das rechtsrheinische Gebiet zu. Unter Kaiser Valentinian wurden mehrere Kastelle in der Wetterau, entlang der Bergstraße und weiter nach Süden bis auf Höhe Straßburg/Offenburg angelegt, außerdem auf der Schwäbischen Alb zwischen Rottenburg am Neckar und oberer Donau. Ein Straßennetz ermöglichte wesentlich schnellere Truppenbewegungen entlang des Rheins und an die Donau. Mit den Soldaten kamen auch ihre Familien, Handwerker, Händler und andere Dienstleister. Unter Militärverwaltung entstanden nicht nur Straßen, sondern auch Häfen, Badeanlagen, Märkte und vieles mehr. Diese Infrastruktur bildete das Gerüst der entsteheden Provinz Obergermanien. Nach neuerlichen Befriedungsfeldzügen hauptsächlich ins nördliche Hessen ließ Kaiser Domitian Niedergermanien um 85 und Obergermanien um 90 n.Chr. schließlich als vollwertige Provinzen in zivile Verwaltung übergehen.

2. Jh.: Adoptivkaiser

Traian (98-117), ließ zur langfristigen Sicherung der jungen Provinzen eine fast lückenlos überwachte Grenze zum 'freien' Germanien anlegen: den Obergermanisch-Raetischen Limes. Von Rheinbrohl zwischen Koblenz und Bonn verläuft er auf rund 550 Streckenkilometern bis nach Eining an der Donau südwestlich von Regensburg. Die im Hinterland stehenden Truppen wurden sukzessive an die neue Grenzlinie verlegt, in den Gebieten dahinter, dem sogenannten Dekumatland, zivile Verwaltungsstrukturen geschaffen. Kaiser Hadrian (117-138) ließ die Kastellkette weiter verdichten und mit einer Holzpalisade befestigen. Unter Kaiser Antoninus Pius (138-161) wurden die meisten Kastelle und Wachttürme in Stein ausgebaut. Nur wenige Jahre darauf ließ er den Grenzverlauf im Gebiet von Odenwald, Neckar und Schwäbischer Alb um einige Kilometer nach Osten auf den Vorderen Limes vorverlegen. Etwa zur gleichen Zeit, Mitte des 2. Jahrhunderts, siedelten sich elbgermanische Gruppen in Main- und Tauberfranken an, also im direkten Limesvorfeld. Innergermanische Umwälzungen hatten die ethnische Dynamik der Stammeswelt erhöht, was in zunehmendem Druck auf die Reichsgrenze resultierte. Kaiser Commodus ließ deshalb um 185 mehrere Grenzanlagen erneuern und erweitern. 213 musste Kaiser Caracalla einen großen Straffeldzug jenseits des Limes durchführen.

3. Jh.: Reichskrise

Trotz dieser Entwicklung sahen sich die ab 193 regierenden Severer gezwungen, immer mehr Truppen an die östlichen Reichsgrenzen abzubeordern, insbesondere Reiterei. Seit den 230er Jahren nutzten germanische Krieger, unter anderem aus dem Großstamm der Alamannen, die Schwäche der Grenztruppen für Plünderungszüge ins Limeshinterland aus. Kaiser Maximinus Thrax, der erste der sogenannten Soldatenkaiser, führte 235 zwar einen erfolgreichen Feldzug weit ins Innere Germaniens und ließ Befestigungen am Limes wiederaufbauen und/oder verstärken. In der Verkleinerung vieler Kastelle sowie unvollständigem bzw. notdürftigem Wiederaufbau etlicher Zivilsiedlungen äußerten sich jedoch die Probleme dieser Zeit, die von Historikern als 'Reichskrise' eingestuft wird. Die drastische Reduktion des Militärs und dessen Kaufkraft lähmte die maßgeblich davon abhängige Wirtschaft der Grenzprovinzen, während die Einfälle plündernder Germanen weiter zunahmen. Ein allgemeiner Niedergang, Verheerung des Grenzlandes und Bevölkerungsschwund waren die Folge.

Zwischen 260 und 280 wurde schließlich die militärische Grenze an Rhein, Bodensee, Donau und Iller (Donau-Iller-Rhein-Limes) zurückverlegt und das Dekumatland von den römischen Truppen geräumt. Die Restbevölkerung wanderte zwar nicht komplett aus, ging aber langsam in den alamannischen Volksgruppen auf, die sich in den folgenden Jahrzehnten hier ansiedelten. Der Limes ist nicht überrannt worden, sondern es handelte sich um einen strategischen Rückzug. Der Obergermanisch-Raetische Limes war, wie die meisten anderen römischen Grenzanlagen auch, keine Verteidigungslinie. Er sollte primär den hauptsächlich friedlichen Grenzverkehr halbwegs lückenlos überwachen und steuern - Zoll inbegriffen. Als Bollwerk gegen Kriegergruppen, geschweige denn gegen Armeen, war er weder gedacht noch geeignet. Diese aufzuhalten und ihnen bestenfalls durch Präventivoperationen zuvorzukommen war Aufgabe der Truppen in den größeren Kastellen und insbesondere der im Hinterland stationierten Legionen.

4. Jh.: Spätantike

Ab ca. 290 erfolgte unter Diokletian und den Kaisern der Tetrarchie eine massive Befestigung der Flussgrenzen und des Landabschnitts zwischen Rhein/Bodensee und Donau/Iller durch Kleinkastelle und stark befestigte Wachttürme (burgi). Weitere Kastelle im Hinterland, die Stärkung der Rhein-, Bodensee- und Donauflotten, die Befestigung ziviler Siedlungen und Gutshöfe sowie die Ansiedlung verbündeter Germanen als Milizen ergänzten das Defensivsystem. Die Strategie der Grenzverteidigung bestand darin, feindliche Grenzübertritte dank lückenloser Überwachung und effektiver Kommunikation direkt verhindern oder im Limeshinterland rasch stellen zu können. Abschreckungs- und Rachefeldzüge jenseits des Limes und Bündnisverträge mit den grenznahen Häuptlingen sollten die Zahl solcher Durchbrüche minimieren.

Dieses Konzept hielt dem anhaltenden und zunehmenden germanischen Druck im 4. Jahrhundert zwar größtenteils stand und die Befestigungen wurden mehrmals instandgesetzt, im Hinterland kam es aber dennoch zu einer schleichenden Erosion der zivilen Wirtschafs- und Verwaltungsstrukturen. Denn Einfälle kleinerer Kriegergruppen waren kaum zu verhindern und besonders in den nicht seltenen Phasen innenpolitischer Krisen kam es auch zu größeren Plünderungszügen, vornehmlich von Franken und Alamannen.

5. Jh.: Völkerwanderung

Nachdem die Westgoten 401 nach Italien eingefallen waren, wurde ein Großteil der Truppen von der Rheingrenze abgezogen, vermutlich zur Verteidigung Italiens. Zum Jahreswechsel 406/407 gelang es mehreren großen barbarischen Verbänden, vor allem Vandalen, Sueben und Alanen, den Rhein auf Höhe Mainz-Worms zu überqueren und nach Gallien einzufallen. Rom verlor zwar nur kurz die Kontrolle an der Rheingrenze, aufgrund der Handlungsunfähigkeit des Kaisertums bzw. des Militärs blieben Offensivaktionen ins rechtsrheinische Gebiet seitdem jedoch aus und die Grenzprovinzen mussten ihre Verteidigung weitgehend selbst in die Hand nehmen.

Am Oberrhein wurde diese Aufgabe zwischen 407 und 435 vor allem vom Stamm der Burgunden übernommen. Als Bundesgenossen in römischen Diensten (foederati) erkauften sie sich damit das Siedlungsrecht in diesem Gebiet. Um 420 kontrollierten sie gemeinsam mit regulären Einheiten sogar noch einmal die gesamte Rheingrenze. Dank germanischer Verbündeter blieben die meisten Grenzkastelle bis in die Mitte des 5. Jahrhunderts besetzt.

Im Gegensatz zu den Burgunden erwiesen sich die Franken am Niederrhein jedoch als unzuverlässige Bundesgenossen und versuchten mehrmals die Kontrolle im Rheinland zu übernehmen. Ab ca. 450 war es den Römern nicht mehr möglich, sie in die Schranken zu weisen, die Rheinprovinzen waren spätestens seit den 480-er Jahren endgültig verloren. Hingegen blieben die Gebiete südlich der Donau weitgehend unter Kontrolle - selbst über das Ende des weströmischen Kaisertums hinaus bis in die Zeit des Ostgotenreichs Theoderichs.

Literatur und Links

Dietwulf Baatz: Der Römische Limes. Archäologische Ausflüge zwischen Rhein und Donau. 4. Auflage, Berlin 2000, S. 177f.

Bernhard Beckmann: Niedernberg – MIL. Kohortenkastell.
In: Dietwulf Baatz; Fritz-Rudolf Herrmann (Hg.): Die Römer in Hessen. 3. Auflage, Hamburg 2002, S. 479–481.

Michael Hoppe: Neues zur Befestigung des römischen Kastells Niedernberg.
In: Das archäologische Jahr in Bayern 2000. Theiss, 2001, S. 75–77.

Marcus Jae: Neue Grabungen im römischen Niedernberg.
In: Das archäologische Jahr in Bayern 2005, S. 76–79.

Gemeinde Niedernberg (Hg.): Niedernberger Heimatbuch, Niedernberg 1994, besonders S. 19-48.

Egon Schallmeyer: Der Odenwaldlimes. Entlang der römischen Grenze zwischen Main und Neckar, Stuttgart 2010.

Bernd Steidl: Welterbe Limes. Roms Grenze am Main. Ausstellungskataloge der Archäologischen Staatssammlung 36, Obernburg 2008, besonders S. 180–185.

Wilhelm Conrady: Das Kastell Niedernberg. In: Ernst Fabricius, Felix Hettner, Oscar von Sarwey (Hg.): Der obergermanisch-raetische Limes des Roemerreiches. Abteilung B, Band 3, Kastell Nr. 34, Heidelberg 1896.

 

weiterführende Links

Deutsche Limeskommission

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege - Kastell

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege - Badegebäude

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege - Vicus

Geschichtsverein Niedernberg

Gemeinde Niedernberg