Der kompakte Baukörper ist der erste Hinweis auf das hohe Alter der Martinskapelle. © Burglandschaft
Das prächtige gotische Portal mit dem Mantel teilenden hl. Martin. © Burglandschaft
Der Innenraum haut einen schlichtweg um. © Burglandschaft
Die Fresken im Chor zeigen u.a. Szenen aus dem Leben des hl. Martin von Tours. © Burglandschaft
Das Highlight: die sogenannte "Bilderbibel". © Burglandschaft
40 Medaillons mit Bibelszenen auf beiden Langhauswänden. © Burglandschaft
Die Kapelle ist verziert "bis unter die Decke" - hier die Holzbohlendecke. © Burglandschaft
Der kompakte Baukörper ist der erste Hinweis auf das hohe Alter der Martinskapelle. © Burglandschaft
Das prächtige gotische Portal mit dem Mantel teilenden hl. Martin. © Burglandschaft
Der Innenraum haut einen schlichtweg um. © Burglandschaft
Die Fresken im Chor zeigen u.a. Szenen aus dem Leben des hl. Martin von Tours. © Burglandschaft
Das Highlight: die sogenannte "Bilderbibel". © Burglandschaft
40 Medaillons mit Bibelszenen auf beiden Langhauswänden. © Burglandschaft
Die Kapelle ist verziert "bis unter die Decke" - hier die Holzbohlendecke. © Burglandschaft

St. Martin Bürgstadt

1 Min. Fußweg
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Eine absolute Perle: Die Martinskapelle ist eines der ältesten Kirchengebäude am Untermain, erbaut im 10. Jahrhundert. Äußerlich sehr unscheinbar, birgt sie in ihrem Inneren ein umso prächtigeres Bild. Großflächige Ausmalungen der Kirche mit biblischen Themen sind ab etwa 1390 nachgewiesen. 1593 wurden die Seitenwände mit 40 Medaillons bemalt, die Szenen aus dem Alten und Neuen Testament zeigen. Sie konnten so auch den vielen Analphabeten vermittelt werden. Diese sogenannte 'Bilderbibel' ist ein Meisterwerk der Renaissance und in ihrer Vollständigkeit außergewöhnlich.

Zur Alten Pfarrkirche St. Margareta auf fabuly

St. Martin im Hochmittelalter

Bereits im 10. Jahrhundert wurde die Martinskapelle als einfacher Saalbau mit eingezogenem Rechteckchor errichtet. Reste eines noch in der Wand steckenden Gerüstholzes konnten mit diesem Ergebnis 14C-datiert werden. Ob es einen älteren, eventuell hölzernen Vorgängerbau gab, ist nicht bekannt. Angesichts mehrerer Indizien, die ein noch höheres Alter stützen, wäre eine bis ins 8./9. Jahrhundert - also ins Frühmittelalter - zurückreichende Kontinuität durchaus vorstellbar. Wahrscheinlich fungierte St. Martin als Pfarrkirche für die gesamte Umgebung, denn Bürgstadt war zweifellos die Urpfarrei des südwestlichen Mainvierecks. Das Gebäude veränderte sich mehrfach, unter anderem wurden im 12. Jahrhundert Schiff und Chor erhöht. Nach der schweren Beschädigung durch einen Brand im 13. Jahrhundert scheint man die Kapelle erst gegen Ende des folgenden Jahrhunderts wiederhergestellt zu haben. Ob sie in den mehr als 100 Jahren dazwischen provisorisch genutzt wurde, ist fraglich, denn Bürgstadt verfügte seit dem ausgehenden 12. oder beginnenden 13. Jahrhundert mit St. Margareta über eine zweite, unmittelbar benachbarte Kirche mit auffälligerweise fast identischem Grundriss wie St. Martin.

Spätmittelalterliche Erneuerung

Die erste, leider nur indirekte schriftliche Erwähnung der Martinskapelle stammt aus dem Jahr 1393. Es ist eine Schenkungsurkunde an die Kartause Grünau, in welcher ein Frühmesser namens Walther als Stifter auftritt. Die Bürgstadter Frühmesse, für deren regelmäßige Abhaltung jener Walter zuständig war, wurde bis ins 20. Jahrhundert hinein in der Martinskapelle gefeiert. Sie ist frühestens 1328 gestiftet worden, unter Umständen sogar erst in den 1380er Jahren. Es könnte dabei ein Zusammenhang mit der Instandsetzung des Gotteshauses um 1390 bestehen. Die ältesten fassbaren, heute kaum noch sichtbaren Malereien im Innenraum datieren in diese Zeit. Am Chorbogen sind noch Reste architektonischer und floraler Ornamente sowie figürlicher Szenen auf dessen dem Chor zugewanden Ostseite erhalten. Daneben gehörte ein hinter dem Wendelinusaltar versteckter Kopf mit Laubkrone vermutlich zu einer Darstellung Christi als Erlöser (Christus Salvator). Im Zuge dieser Sanierung ist ein Teil der großen Fenster des hochmittelalterlichen Kirchenbaus deutlich verkleinert, der andere Teil komplett vermauert worden. Ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert stammen die Glocke der Martinskapelle, die die Namen der vier Evangelisten trägt, sowie das vom Hochaltar innen verdeckte Maßwerkfenster in der Ostwand des Chors.

Veränderungen am Ende des Mittelalters

Die heutige Baugestalt wird besonders von gotischen Elementen geprägt, die im 15. Jahrhundert, überwiegend um 1490, hinzugefügt wurden, vor allem das reich profilierte Westportal mit dem Martinsrelief im Tympanon. In der Langhauswand scheinen wieder zwei oder drei größere spitzbogige Fensteröffnungen eingesetzt worden zu sein und auf der Südseite der Kapelle ein weiteres, aber schlichteres Portal. Im Innenraum gehen die Reste eines großflächigen Bilderzyklus an den Langhauswänden auf diese Zeit zurück. Er ist heute leider nicht mehr sichtbar, weil die rund 100 Jahre später aufgebrachten Medaillons ihn so gut wie komplett überdecken. Die renaissancezeitliche 'Bilderbibel' hatte also einen spätgotischen Vorgänger. Dieser zeigte unter anderem Szenen aus dem Leben Jesu: seine Geburt (vermutlich), seine Beschneidung, seine Weihung im Tempel und den Kindermord von Bethlehem. Da er bisher nur an wenigen Stellen beobachtet werden konnte, haben wir keine Kenntnis von weiteren Motiven unter den Medaillons. Deren Existenz ist jedoch sehr wahrscheinlich.

Außerdem stammen große Teile der figürlichen Ausstattung der Martinskapelle aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert, etwa die auf einem Balken ruhende Kreuzigungsgruppe im Chorbogen. Ursprünglich saß dieser Balken rund einen Meter tiefer als heute. Auch die an der Nordwand des Chores befindliche, farbig gefasste Plastik des mantelteilenden Martin ist spätgotisch. Die Figur weist viele Reparaturstellen auf, wahrscheinlich, weil es sich bei ihr um jenes aus den Kirchenrechnungen bekannte Martinsbild handelt, das am Martinstag zur Niederlegung des Martinsopfers vor der Kapelle aufgestellt wurde.

Sanierung in der Renaissance

1589-1593 wurde die damals sanierungsbedürftige Kapelle wieder instandgesetzt - offenbar war das Dach marode. Ein neues, deutlich steileres Dach mit höheren Giebeln und der verschieferte Dachreiter über dem Westgiebel waren außen die auffälligsten Veränderungen. Außerdem scheinen einige Fenster im Kirchenschiff erhöht worden zu sein und das Südportal wurde ersetzt. Im Inneren kamen die Empore sowie die Kanzel hinzu- die heutige Empore stammt jedoch von 1730. Vor allem aber erhielten Chor und Langhaus ihre eindrucksvolle Ausmalung. 1589 gestaltete der Nürnberger Maler Andreas Herneisen die Holzdecke, den Chor und Teile der Empore. Die 'Bilderbibel' im Kirchenschiff ist das Werk des leider nur in Initialen bekannten I.B.M., geschaffen 1593.

Andreas Herneisen - Ausnahmetalent in Bürgstadt

Mit Andreas Herneisen konnten die Bürgstadter 1589 einen äußerst begabten Nürnberger Malermeister engagieren. Er war weit über die Reichsstadt hinaus kannt und wurde trotz seiner lutheranischen Gesinnung zwischen 1578 und 1587 mehrfach vom Würzburger Fürstbischof Julius Echter beschäftigt. Wie sie den begehrten Meister, der zuvor für den Würzburger Fürstbischof und hernach für den Herzog von Württemberg arbeitete, engagieren konnten, ist nicht bekannt. Seine Malereien in der Martinskapelle - Decke, Chor und Teile der Empore - treten allerdings gegenüber dem völlig zurecht herausragenden Bilderzyklus im Langhaus deutlich zurück.

Auf der mit reicher floraler Ornamentik im sogenannten Florisstil verzierten Bretterdecke finden sich auch einige figürliche Motive in Medaillons. Diese sind nicht direkt auf das Holz, sondern auf Papier gemalt, das dann aufgeklebt wurde. Abgebildet sind geflügelte Engelsköpfe, Gestirne, die vier Evangelistensymbole, ein segnender Heiliger, die Taube (der Heilige Geist), Christus und Gott Vater. Auf der Decke ist also die himmlische Sphäre dargestellt.

Die Ausmalung des Chors besteht aus vier verschiedenen Themen:

  • ganz oben in der Mitte der Ostwand - also an der bedeutendsten Stelle des Kirchenraums - Christus als Weltenrichter als Symbol des Jüngsten Gerichts (leider sehr schlecht erhalten und vom Hochaltar verdeckt)
  • drei Wappen auf der Ostwand (oben links das Mainzer Domkapitel, Inhaber der Ortsherrschaft über Bürgstadt; oben rechts Erzbischof Wolfgang von Dalberg; vom Hochaltar verdeckt Wolf Eberhard von Ehrenberg, Mainzer Amtmann zu Miltenberg)
  • lebensgroß in der oberen Ebene die 4 Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes sowie die 4 lateinischen Kirchenväter Gregor, Hieronymus, Augustinus und Ambrosius (in Reihenfolge von der Nord- über die Ost- zur Südwand)
  • etwas kleiner in der unteren Ebene 8 Szenen aus dem Leben des Hl. Martin von Tours (Mantelteilung, Traumvision, Quittierung des Militärdienstes, Bischofsweihe, Heilung eines Besessenen, Krankenbesuch und Tod - in gleicher Reihenfolge wie oben)

In der Nordostecke des Kirchenraums, auf der Empore, malte Herneisen die Hl. Barbara und die Hl. Dorothea. Sie waren vermutlich Teil eines größeren Bildprogramms. Barbara und Dorothea wären demnach um die Hl. Katharina und die Hl. Margareta zu den '4 großen Jungfrauen' zu ergänzen. Im gegenüber liegenden südlichen Teil der Empore sind die vier Erzengel Michael, Gabriel, Raphael und Uriel zu erwarten, worauf die allein stehende Inschrift "S.MICHAEIS" an der Westwand der Empore hinweist. Die Darstellungen auf der Empore scheinen teilweise durch spätere Baumaßnahmen überdeckt oder zertört, teilweise auch unvollendet zu sein. Da Andreas Herneisen bereits im Frühjahr 1590 am Hof Herzog Ludwigs von Württemberg in Stuttgart tätig war, liegt die Vermutung nahe, dass der begehrte Maler vor Abschluss seiner Arbeit abgeworben wurde.

Daneben ließ sich sein Auftraggeber, der Bürgstadter Schultheiß Peter Schneider, von ihm auf einem Gemälde (Öl auf Holz) verewigen, das heute im Chor hängt. Es zeigt einen gekreuzigten Christus, der zu beiden Seiten von der Familie des Stifters angebetet wird - getrennt nach Männern links und Frauen rechts. Auch die Ahnen Peter Schneiders sind in drei nach oben kleiner werdenden Generationen dargestellt. Ein Eigeninteresse des Schultheißen an diesem Werk steht natürlich außer Frage. Es könnte sich bei dem Bild gleichzeitig aber auch um ein Probestück handeln, mit dem vor Auftragsvergabe die Eignung des Malers im Hinblick auf sein handwerkliches Geschick und seine Bildsprache überprüft wurde.

Wahrscheinlich hätte Herneisen auch das Kirchenschiff ausmalen sollen, sodass nach seinem Weggang ein neuer Künstler gefunden werden musste. Das war für die Bürgstadter sicher kein kleines Problem, doch auf Empfehlung des Miltenberger Amtskellers Johann Hartmann fanden sie diesen in dem wohl aus Sulzfeld am Main bei Kitzingen stammenden Flach- und Glasmaler I.B.M. Sein vollständiger Name ist leider nicht bekannt, da er offenbar keine größere Bekanntheit erlangte und sich in seinen Werken nur mit Initialen verewigte. Allem Anschein nach führte er auf der Empore der Martinskapelle zunächst kleine Arbeiten an den Fensterlaibungen aus, die angesichts ihrer Unterschiedlichkeit wie Muster wirken. Anschließend dekorierte er zunächst das neu errichtete Bürgstadter Rathaus und widmete sich erst 1593 dem Langhaus der Martinskapelle.

Die 'Bilderbibel' des I.B.M.

Der vollständig erhaltene Bilderzyklus der Seitenwände der Martinskapelle ist von herausragender kunsthistorischer Bedeutung. In 40 Medaillons sind Szenen aus dem Alten und Neuen Testament dargestellt und mit zugehörigen Merkversen kommentiert. Mittels der bunten Darstellungen in Kombination mit den einprägsamen Versen konnten wichtige Kapitel der Bibel den Kirchenbesuchern, die in aller Regel nicht lesen konnten, vermittelt werden. Damit erfüllten sie ähnliche Funktionen wie figürlich gestaltete Glasfenster in anderen Kirchen. Zusammen mit den wenige Jahre älteren Ausmalungen im Chor handelt es sich um Juwelen der Kirchenkunst des 16. Jahrhunderts. Doch die Bilder und Verse entsprangen nicht der Kreativität des Malers, sondern sind nach Vorlage mehrerer zwischen 1560 und 1584 gedruckten Holzschnitt- und Kupferstichzyklen gearbeitet. Zu den meisten neutestamentlichen Szenen gab es darin allerdings keine geeigneten Begleitverse. Vermutlich wurden diese vom Bürgstadter Pfarrer, Balthasar Häfner, getextet.

Der Medaillonzyklus beginnt in der oberen linken Ecke der Südwand, direkt neben dem Chorbogen, mit der Erschaffung der Welt und lässt sich reihum "lesen" bis zum Chorbogen auf der gegenüberliegenden Seite. Dann geht es auf der Südwand in der mittleren Ebene weiter, dann in der unteren. Man dreht sich also drei mal im Uhrzeigersinn, bis man bei der letzten Szene in der rechten unteren Ecke der Nordwand, direkt neben dem Kanzelfenster angekommen ist, der Erleuchtung von Maria und Aposteln durch den Hl. Geist an Pfingsten. Neben und zwischen den Medaillons befinden sich florale Ornamente mit Quasten, die architektonischen Fenster- und Wandrahmungen sowie mehrere Wappen, darunter das des I.B.M. und das des Eichenbühler Steinmetzen D.B. (beide auf der Nordwand über den letzten vier Medaillons). Über der obersten Medaillonebene befinden sich 7 weitere Wappen, welche zu den an der Kirchensanierung beteiligten Honoratioren gehören: Mainzer Domkapitel, Erzbischof Wolfgang von Dalberg, Miltenberger Amtmann Wolf Eberhard von Ehrenberg, Amtskeller Johann Hartmann, Centgraf Johann Eckard, Schultheiß Peter Schneider und - schon auf der Nordwand - Pfarrer Balthasar Häffner. Medaillonebenen gliedern sich folgendermaßen:

  • Oben: Altes Testament, 14 Szenen - Erschaffung der Welt, Erschaffung Evas, Sündenfall, Kain & Abel, Sintflut, Noachs Gottesbund, Sodom & Gomorra, Geburt Isaaks, Abrahams Opfer, Jakobs Traum, Gottes Manna-Regen, Goldenes Kalb, Eherne Schlange
  • Mitte: Neues Testament, 11 Szenen zu Kindheit und Wirken Jesu - Verheißung der Geburt, mit Marias Besuch bei Elisabeth in einem Medaillon, Verkündigung an die Hirten, Beschneidung, Huldigung der 3 Weisen, Simeons Lobgesang, Kindermord zu Bethlehem, Jesu lehrt im Tempel, Taufe im Jordan, Hochzeit zu Kana, Auferweckung des Lazarus, versuchte Steinigung Jesu
  • Unten: Neues Testament, 15 Szenen zu Passion, Auferstehung, Himmelfahrt und Pfingsten - Einzug in Jerusalem, letztes Abendmahl, mit Fußwaschung in einem Medaillon, Christus am Ölberg, Verrat des Judas, Petrus Verleugnung, mit der Vorführung vor Kajaphas und vor Pilatus in einem Medaillon, Geißelung, Dornenkrönung und Verspottung, Ecce homo (Schaustellung des geschundenen Jesus), Pilatus' Urteil, Kreuzweg, Kreuzigung, Kreuzabnahme, Grablegung, Auferstehung, Himmelfahrt, Pfingsten

Schließlich stammt auch die Darstellung des Weltgerichts auf der den Kirchenbesuchern zugewandten Seite des Chorbogens - der typische Platz für dieses Motiv - aus der Hand I.B.M.s. Sie zeigt die Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag, ihre Scheidung in Selige und Verdammte, den Zug der Seligen an Mose und anderen Propheten, Heiligen und Engeln vorbei zum Himmelsreich sowie die Verdammnis der Sünder im krokodilförmigen Höllenschlund. Über allem thront im Scheitel des Chorbogens Christus als Weltenrichter, flankiert von der Gottesmutter Maria und (wahrscheinlich) Maria Magdalena. Darüber, zu beiden Seiten des Herrn, knien 14 kleinere, betende Personen mit überwiegend zeitgenössischer Kleidung in zwei Gruppen (8+6). Links haben sich offenbar jene Honoratioren porträtieren lassen, deren Wappen in der obersten Ebene des Medaillonzyklus vorkommen. Mit der rechten Gruppe sollten wohl ebenfalls reale Menschen in dem Werk verewigt werden, sind heute jedoch nicht mehr identifizierbar.

ab dem 17. Jahrhundert

Mit der Renovierung und Ausmalung der Kapelle 1589-1593 endet die Baugeschichte St. Martins nicht, denn an dem Gebäude wurden regelmäßig Reparaturen ausgeführt, kleinere Veränderungen vorgenommen und Ausstattungsgegenstände ergänzt oder ersetzt. So stammt der Hochaltar abgesehen von späteren Zutaten allem Anschein nach von 1621. Das nachgotische Maßwerkfenster in der Nordwand des Chors trägt die Jahreszahl "1628" und wurde wohl eingebaut, um den Altar besser zu beleuchten. Genauso alt sind auch die beiden Schränke im Chor zu beiden Seiten des Altars, die wahrscheinlich der Aufbewahrung von Messgewändern dienten - einer ist mit "1630" datiert. Die Empore wurde 1729/30 vergrößert, erhielt eine kleinere Stellage (zweite Ebene) für Musiker und ihre Brüstungsbilder, welche die 12 Apostel mit Christus Salvator in der Mitte zeigen.

Um 1730 entstand in Bürgstadt eine Wendelinuswallfahrt, für die 1732 eine Plastik des Heiligen angeschafft wurde. Möglicherweise handelt es sich dabei um jene Statue, die heute über der Kanzel angebracht ist. Die Figur trägt keine Lanze, wie man meinen könnte, sondern eine sogenannte 'Schäferschippe'. In diesem bis heute bei Schäfern gebräuchlichen Multifunktionswerkzeug ist der Hirtenstab mit einer kleinen Schaufel kombiniert. Der Wendelinusaltar gegenüber der Kanzel ist 1741 errichtet und 1747/48 durch den Mudauer Maler Johann Nicolaus Hoof farbig gefasst worden. Neben der Anschaffung des Altars lässt sich die Beliebtheit der Wallfahrt auch in den Kirchenbüchern an sprudelnden Einnahmen ablesen. 1742 lieferte der Lohrer Orgelbauer für die Martinskapelle eine kleine Orgel, die mit dem Vermögen des Wendelinusfonds finanziert worden war. Die Wallfahrt bestand bis 1784, wurde dann aber im Zuge aufklärerischer Tendenzen im Erzbistum so stark eingeschränkt, dass sich die Frömmigkeit der Bevölkerung mit der Zeit wieder mehr dem Rest der Kapelle und ihrem Patron, dem Hl. Martin von Tours, zuwandte. Von den Votivgaben der Wallfahrer ist lediglich ein Tafelgemälde erhalten, das heute am Emporenaufgang hängt.

Zwischen 1787 und 1789 wurden umfangreiche Reparaturen an und in der Martinskapelle ausgeführt, vom Mauerwerk über den Glockenstuhl des Dachreiters bis zu den liturgischen Gewändern. Auch die zwei Ölgemälde der Maria mit Jesuskind und des Hl. Joseph im Langhaus, Werke des Walldürner Malers/Vergolders Michael Anton Eckardt, wurden 1788 angeschafft. Der Kreuzwegzyklus, der im Langhaus angebracht ist, stammt aus der Zeit um 1830. Er besteht aus 15 statt der üblicherweise 14 Stationen. Die Auffindung des Kreuzes durch die Hl. Helena als 15. Station ist unüblich. Reparaturen und Renovierungen ziehen sich in fast regelmäßigen Abständen bis in jüngste Zeit, darunter auch die verschiedenen Restaurierungsarbeiten 1907, 1970-73 und 1997. Zuletzt wurde die Ausstattung 1997 durch die neugotische hölzerne Altarmensa und 2003 durch die Kleinorgel ergänzt. Der Taufstein vor der Kanzel datiert um 1600 und könnte vom regional bedeutenden Bildhauer Michael Juncker d.Ä. geschaffen worden sein. Eigentlich gehört er jedoch zur alten Pfarrkirche St. Margareta, an die St. Martin im 13. Jahrhundert das Taufrecht verloren haben dürfte, und befindet sich erst seit 2002 in der Martinskapelle.

Literatur und Links

Heimat- und Geschichtsverein Bürgstadt (Hg.): Die Kirchen in Bürgstadt.

Wolfgang Meister: Die Martinskapelle in Bürgstadt. Zeugnis von Kunstsinn und Glaubenseifer einer Landgemeinde um 1600, hg. vom Heimat- und Geschichtsverein Bürgstadt, Bürgstadt 2004.

Norbert Schmitt: Beiträge zur Geschichte der Martinskapelle in Bürgstadt 1: Zur Entstehungszeit der Martinskapelle.
In: Der Odenwald - Zeitschrift des Breuberg-Bundes 24, Heft 1/1977, S. 14-17.

Norbert Schmitt: Beiträge zur Geschichte der Martinskapelle in Bürgstadt 2: Zur Geschichte der Kapellen- bzw. Frühmeßstiftung.
In: Der Odenwald - Zeitschrift des Breuberg-Bundes 24, Heft 1/1977, S. 17-25.

Norbert Schmitt: Beiträge zur Geschichte der Martinskapelle in Bürgstadt 3: Zur Geschichte des Baues und der künstlerischen Ausgestaltung.
In: Der Odenwald - Zeitschrift des Breuberg-Bundes 24, Heft 2/1977, S. 39-51.

 

weiterführende Links:

Europäischer Kulturweg "Mainhölle und Bildermeer"

Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege

Historisches Bürgstadt

Heimat- und Geschichtsverein Bürgstadt

DREI AM MAIN Tourismusgemeinschaft

Markt Bürgstadt

Weitere Bilder der Martinskapelle auf spessartbilder.eu

Bürgstadt ist außerdem End- bzw. Startpunkt des Fränkischen Rotwein-Wanderwegs.