Centgrafenkapelle
Die Bauruine aus dem 17. Jahrhundert zieht jeden Besucher, der auf den Eichenbuckel oberhalb Bürgstadts kommt, in ihren Bann. Benannt ist sie nach ihrem Bauherrn, dem Bürgstadter Centgrafen Leonhard Gackstatt. Das Bauprojekt wurde bereits im Jahr nach Grundsteinlegung eingestellt, das Gotteshaus somit nie seiner Bestimmung zugeführt. Warum, ist unklar. An einer schlechten Aussicht dürfte es jedenfalls nicht gelegen haben, denn der Blick ins Maintal ist atemberaubend. Darum führt auch fast jeder Wanderweg im Bürgstadter Wald an diesem verwunschenen Ort vorbei.
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Geschichte
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Im Frühsommer 1629 gab Leonhard Gackstatt, der Centgraf von Bürgstadt (reg. 1626-1655), Auftrag zum Bau einer kleinen Kapelle auf dem Eichenbuckel. Georg Friedrich von Greiffenklau (reg. 1626-1629), Erzbischof und Kurfürst von Mainz, hatte zuvor sein Einverständnis dazu gegeben. Kurz darauf wurde ein schlichter, 16 Meter langer Saalbau mit eingezogenem Rechteckchor errichtet. Außer zwei Rundbogenportale, acht spitzbogigen Fenstergewänden, einem Rundfenster und den verzahnten Ecksteinverbänden scheint sie keine weitere Bauzier besessen zu haben. Die Jahreszahl '1630' im Scheitel des Westportals gibt Zeugnis über die Bauzeit.
Doch schon kurz darauf wurden die Arbeiten eingestellt, noch bevor das Dach aufgeschlagen war. Mögliche Ursache ist der Dreißigjährige Krieg, der mit dem Eingreifen der Schweden ab 1631 auch den Untermain stärker erfasste. Warum die Kapelle nie weitergebaut wurde, ist hingegen unbekannt. Gackstatt scheint sein Bauprojekt sehr bald aufgegeben zu haben, denn zwei Glocken, die er für die Kapelle erworben hatte, stiftete er dem 1630 gegründeten Franziskanerkloster in Miltenberg. Damit unterstützte er im Zuge der Gegenreformation die Bemühungen der Franziskaner um die Rekatholisierung der Bevölkerung.
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Hexenverfolgung in Bürgstadt
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Nachdem im benachbarten Miltenberg bereits 1593/94 der Hexenwahn grassierte, kam es in Bürgstadt zwischen 1616 und 1618 zu einer ersten Hexenverfolgung. Der zweiten Verfolgungswelle zwischen 1627 und 1630 - während der Amtszeit Leonhard Gackstatts - fielen von insgesamt 108 Angeklagten 46 weibliche und 45 männliche Einwohner Bürstadts zum Opfer, gut 5% der Bevölkerung. Eines der Opfer war die 82-jährige Witwe des Bäckermeisters Leonhard Schneider, die 1627 auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Ihr Mann hatte 1613, im Jahr vor seinem eigenen Tod, eine Kreuzigungsgruppe im Kirchhof der damaligen Pfarrkirche St. Margareta als Grabdenkmal für sich und seine Frau gestiftet. Aufgrund des tragischen Schicksals seiner Frau, wurden ihre Sterbedaten auf der zugehörigen Inschriftentafel jedoch nie ergänzt. Eine Ursache - unter vielen - für die "juristischen Exzesse" könnten die infolge schlechter Ernten steigenden Lebensmittelpreise gewesen sein.
Möglicherweise bewegte Leonhard Gackstatt seine Beteiligung an den Hexenprozessen zu einem Sühneakt für sein Seelenheil. Über die Motive, die hinter seiner Kapellenstiftung stehen, ist nichts sicher bekannt. Ein schlicht in Religiosität und/oder Geltungsbedürfnis begründeter Stifterdrang des wohlhabenden Bürgers und Amtsträgers liegt sogar näher. Denn bereits 1621, noch vor der Hexenverfolgung in Bürgstadt, womöglich jedoch erst 1628, hatte die Bürgstadter Martinskapelle einen neuen Hochaltar erhalten. Gestiftet wurde der höchstwahrscheinlich von ihm und seiner Frau Birgitta. Als Assistenzfiguren stehen links und rechts des zentralen Martinsbildes nicht zufällig der Hl. Leonhard und die Hl. Birgitta - eine sehr ungewöhnliche Kombination, die nur in der Deutung als Stifterfiguren Sinn ergibt. Ab 1630 unterstützten beide besonders die Miltenberger Franziskaner mit Spenden und Stiftungen.
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Literatur und Links
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Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (Hg.): Die Kunstdenkmäler von Unterfranken & Aschaffenburg 18. Bezirksamt Miltenberg. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe München 1917, München 1981, S. 116.
Wilhelm Otto Keller: Hexer und Hexen in Miltenberg und der Cent Bürgstadt. Beiträge zur Geschichte der Hexenprozesse am südlichen Untermain, Miltenberg 1989.
Wolfgang Meister: Die Martinskapelle in Bürgstadt. Zeugnis von Kunstsinn und Glaubenseifer einer Landgemeinde um 1600, hg. vom Heimat- und Geschichtsverein Bürgstadt, Bürgstadt 2004, besonders S. 203-206 und 221-223.
Norbert Schmitt: Beiträge zur Geschichte der Martinskapelle in Bürgstadt 3: Zur Geschichte des Baues und der künstlerischen Ausgestaltung.
In: Der Odenwald - Zeitschrift des Breuberg-Bundes 24 (1977), Heft 2, S. 39-51, besonders S. 45-46.weiterführende Links:
Europäischer Kulturweg "Mainhölle und Bildermeer"
Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege